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Texte rund um die Hebammenarbeit | Vertrauen und Sicherheit

Karin Müller, Hebamme

Schwangerschaft ist eine Übergangsphase im Leben einer Frau*, die alle Lebensbereiche betrifft: Partnerschaft, Arbeitsplatz/Karriereplanung/finanzielle Situation, ev. Wohnsituation, Veränderung des Körperbildes, der Sexualität,... Aufgrund dieser massiven Veränderungen ist ein gewisses Maß an Angst und Unsicherheit absolut physiologisch.

Weiters bringt eine Schwangerschaft viele Situationen mit sich, die neu und unbekannt sind, und Angst vor dem Unbekannten ist eine völlig normale Empfindung. Dazu kommt, dass Kontrolle und Planbarkeit zentrale Werte in unserer Leistungsgesellschaft darstellen, denen der bewusst nicht beeinflussbare Ablauf der Schwangerschaft, die unausweichlich in die Geburt mündet, diametral gegenübersteht. Wir beobachten in der Begleitung von Schwangeren aber eine Zunahme an Unsicherheit, die weit über das physiologische Maß hinausgeht und sich etwa in sehr spezifischen Fragen zu Laborparametern, Ernährungs- oder Verhaltensempfehlungen äußert.

Erklärungsversuche

  • Fehlendes „soziales Lernen“: Frauen* sind heute oft in ihrem Umfeld die ersten, die Eltern werden. Durch den Wegfall von Großfamilien oder Dorfgemeinschaften
    kam es auch zu einem Wegfall von traditionellem Elternwissen. Werdende Eltern müssen für viele Situationen Lösungsmöglichkeiten finden, die noch unerprobt
    sind. Eigene oder im Freundeskreis bestehende positive Vorerfahrungen können das Gefühl von Sicherheit verstärken.

  • Es gibt die Theorie, dass Frauen* heute von klein auf in Richtung „Pathologisierung des Frauenkörpers“ sozialisiert werden: Bekommt ein Mädchen die erste
    Regel, wird kein Fest gefeiert, sondern sie geht zum Gynäkologen. Das setzt sich auch in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett fort, die heutige Vorsorge ist in erster Linie eine Suche nach Risikofaktoren. Dadurch sehen auch Frauen* die Schwangerschaft heute als einen Zustand, bei dem Abweichungen jederzeit möglich sind. Unbedachte Äußerungen oder unverstandene Fachbegriffe können Unsicherheiten verstärken, allein das Wissen um weit verbreitete Technologien und Interventionen können Zweifel auslösen. Eine alleinige medizinisch orientierte Schwangerenvorsorge hilft meist wenig, das Vertrauen und die Intuition der Schwangeren zu stärken.

  • Natürlich sind Unsicherheiten oft durch Vorerfahrungen begründet. Hatte eine Frau* etwa eine Fehlgeburt vor der aktuellen Schwangerschaft, braucht es oft ein paar Wochen über die Schwangerschaftswoche hinaus, in der die Fehlgeburt passiert ist, bis sie zuversichtlich werden kann, dass diesmal alles gut gehen wird.

  • Rolle des Internets: Nachfragen bei Dr. Google bewirkt oft viel Verunsicherung, da Erfahrungsberichte einzelner Frauen* ungefiltert und unkommentiert zu lesen sind.

Was kann den Schwangeren helfen, zu mehr Vertrauen und Sicherheit zu finden?

  • Begleitung durch die Schwangerschaft, die nicht risiko-, sondern ressourcenorientiert ist, wie Hebammen sie anbieten, vertrauensvolle Beziehung zu einer Betreuungsperson: Schwangerschaft ist seit jeher eine Phase des Übergangs. Früher wurde schwangeren Frauen* eine Übergangsbegleitung zur Seite gestellt. Dieses Vakuum wird heute durch die ärztliche Schwangerenvorsorge gefüllt. Nachdem diese aber einige wesentliche Bedürfnisse der Frauen* nicht erfüllt, ist die durch ärztliche Vorsorge vermittelte Sicherheit oft nur eine momentane und muss bei jedem Termin aufgefrischt werden. Hebammenbegleitung durch die Schwangerschaft ermöglicht Beziehungsaufbau, das Einholen von Informationen, und erlaubt, dass auch scheinbar „dumme“ Fragen gestellt werden können. Für belastete Familien gibt es im Hebammenzentrum die Möglichkeit der kostenlosen Hebammenbegleitung durch die Schwangerschaft im Rahmen unseres „Pilotinnenprogramms“. Jeder Frau* steht die Möglichkeit offen, sich privat von einer Hebamme durch die Schwangerschaft begleiten zu lassen. Eine teilweise Kostenübernahme durch die Krankenkasse ist leider nur bei einer geplanten ambulanten oder Hausgeburt möglich. Im Fall einer geplanten Spitalsgeburt kann ein Hausbesuch vom Wochenbettkontingent in die Schwangerschaft vorgezogen werden.

  • Information kann Frauen* helfen, sich auf bevorstehende neue Erfahrungen vorzubereiten und die Bedeutung verschiedener Körperempfindungen zu verstehen. Allerdings kann auch ein Informationsüberschuss oder ungefilterte Information stressen – am besten ist persönliche, den individuellen Bedürfnissen angepasste Information. Im Hebammenzentrum können Sie sich bei unseren kostenlosen Infoabenden oder persönlich im Rahmen eines kostenlosen Beratungsgesprächs hoffentlich wohldosierte Informationen einholen.

  • Zur Einschätzung von Informationen kann auch der Blick über die Landesgrenzen oft relativieren helfen: In Finnland sind Saunabesuche auch in der Schwangerschaft gang und gebe, in Frankreich bekommen Frauen* nur bei vorliegenden Indikationen Multivitaminpräparate verschrieben und essen ganz selbstverständlich Rohmilchkäse. Für Frauen* aus anderen Ländern kann es unter Umständen sehr verwirrend sein, mit den „Verboten“ aus zwei verschiedenen Ländern konfrontiert zu werden. Aber wenn bestimmte Empfehlungen nur lokal begrenzt ausgesprochen werden, darf man sie schon hinterfragen, oder?

  • Knüpfen eines sozialen Netzes, wie es heutzutage nicht mehr selbstverständlich in Form einer Großfamilie oder Dorfgemeinschaft vorhanden ist, das Unterstützung in der Schwangerschaft und nach der Geburt bieten kann. Schwangeren tut es gut, jemanden zu haben, von dem sie sich ein bisschen bemuttern lassen können. Die positiven Auswirkungen von Gemeinschaft sind mittlerweile auch neurobiologisch erforscht. Die Fürsorge, die Frauen* in der Schwangerschaft erfahren, hat auch einen Modellcharakter für ihre Beziehung zu ihrem Kind.

  • Austausch mit anderen Frauen* in der selben Lebenssituation: Schon die Möglichkeit, Ängste und Sorgen einfach aussprechen zu können und im Austausch mit anderen Schwangeren als „normal“ zu erleben erfahren viele Frauen* als erleichternd. Wir bieten jeden Dienstag Nachmittag eine offene kostenlose und hebammenbegleitete Gruppe für Schwangere an. Und: Lassen Sie sich nur schöne (Geburts-)Geschichten erzählen!

  • Akzeptanz der Unkontrollierbarkeit der frühen Lebensprozesse, vertrauensvolles Loslassen und Einlassen auf Unbekanntes, Bewusstmachen, dass es 100% Sicherheit nicht gibt und dass perfekte Eltern für ein Kind auch gar nicht erstrebenswert sind (stellen Sie sich einmal vor, Ihre Eltern wären perfekt) - und gleichzeitig Kontrolle und Selbstbestimmung der beeinflussbaren Rahmenbedingungen

  • Die Zeit: Das erste Drittel der Schwangerschaft ist die Zeit der Anpassung, in der Frauen* sich körperlich und emotional erst auf die neue Lebenssituation einstellen müssen. Die Wahrnehmung der Kindsbewegungen etwa ab der Mitte der Schwangerschaft kann Frauen* Sicherheit vermitteln.

  • Gutes Körpergefühl: Körperliche Aktivitäten, die der Frau* Freude bereitet und ihr Wohlbefinden und Vertrauen ins Leben stärken, liebevolles Sich-selbst-Eincremen oder Einölen, Tanzen gehen, Momente des Innehaltens, Einlegen von Ruhepausen, Spaziergänge in der Natur, Entspannungsübungen, Abtasten des Bauches durch die Hebamme...

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