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Texte rund um die Hebammenarbeit | Die wunderbare Welt der Kindsbewegungen

Josy Kühberger, MSc, Hebamme

„Was macht denn dein Baby so?“ Die Frage nach den Kindsbewegungen bekommen schwangere Frauen regelmäßig von uns gestellt. Wir interessieren uns für das „Wie oft“, das „Wann“ und das „Wie“. Aber warum eigentlich?

Warum bewegen sich Ungeborene?

Kindsbewegungen wurden lange Zeit als Reflex, als simple Antwort auf einen Stimulus von außen interpretiert. Heute weiß man, dass eine normale Entwicklung, besonders des Gehirns, untrennbar mit der Ausformung entsprechender Bewegungsmuster verwoben ist (1). Struktur und Funktion bedingen sich gegenseitig. Fetale Bewegungen gelten als Ausdruck der Ausformung des sich entwickelnden Nervensystems (2).
Kindsbewegungen unterliegen einerseits einer allgemeingültigen physiologischen Entwicklung, andererseits bestehen von Beginn an individuelle Unterschiede, die sich schon präpartal zeigen und ihre Fortführung nach der Geburt finden. Diese für ein einzelnes Kind typischen Bewegungsmuster weisen eine große Beständigkeit auf (3).

Wie oft bewegen sich Babys?

Die Häufigkeit der wahrgenommenen Bewegungen variiert von Mutter/Kind-Paar zu Mutter/Kind-Paar. Was wir bis jetzt wissen: Das Vorhandensein regelmäßiger Kindsbewegungen gilt als Zeichen fetalen Wohlbefindens. Die meisten Frauen nehmen die ersten kindlichen Bewegungen rund um die 20. Schwangerschaftswoche wahr. Das Aktivitäts-Plateau wird meist um die 32. Woche erreicht. Die Häufigkeit der fetalen Bewegungen nimmt im letzten Trimenon nicht ab (4). Man geht davon aus, dass einer fetalen Notlage eine Verminderung der Anzahl der Kindsbewegungen vorausgehen kann.

Frauen kennen ihre Kinder und können das individuelle Bewegungsmuster ihrer Babys gut einschätzen. Wenn sie sich Sorgen über eine Abnahme der Bewegungen machen, können wir ihnen raten, sich auf die linke Seite zu legen und auf die fetalen Bewegungen zu achten. Wenn sie innerhalb von zwei Stunden nicht 10 oder mehr diskrete Bewegungen wahrnehmen, sollten sie sofort/am selben Tag ihren Gesundheitsdienstleister zur weiteren Abklärung kontaktieren (4).

Die Beurteilung der Häufigkeit der Bewegungen anhand der Erzählungen der schwangeren Frauen hilft uns also, einen Eindruck von der Vitalität des Kindes zu gewinnen (7).

Wie bewegen sich Ungeborene?

Ab der 8.-10. SSW treten Bewegungen auf, die Kopf, Arme, Beine sowie den Rumpf einbeziehen. Bei Ultraschalluntersuchungen beobachtet man schnelle Bewegungen, die meist in den Gliedmaßen beginnen und sich dann auf den Rumpf ausbreiten oder auch langsamere, komplexe Bewegungen. Diese beziehen auch Rotation und Verschiebung des Thorax, Drehung des Kopfes und Verlagerung der Gliedmaßen mit ein.

Eine Streckbewegung des ganzen Körpers ist eines der Bewegungsmuster, das schon zu einem sehr frühen Schwangerschaftszeitpunkt auftaucht (12. SSW) und ohne seine Form zu ändern ein Leben lang bestehen bleibt. Schwangere Frauen beschreiben das meist sehr anschaulich („Manchmal glaub ich, es kommt unten und oben gleichzeitig raus!“). Zunehmende Streckbewegungen im letzten Trimenon werden als Gesundheitszeichen und als Vorbereitung Richtung Geburt gewertet (8).

Hände und Arme

Isolierte Armbewegungen werden meistens von Bewegungen der Finger begleitet. Isolierte Bewegungen der Beine können langsam oder schnell sein, wobei langsame Beinbewegungen selten sind. Sie variieren stark in ihrer Amplitude, von zart anstoßenden Bewegungen bis hin zu kräftigen Tritten.
Abwechselnde Bewegungen der Beine sind ein Bewegungsablauf, der dem Ungeborenen hilft, seine Position im Uterus zu verändern (10) und der postpartal als Schreit-Reflex weiterbesteht. Sie lassen sich auch beim Bauchtasten manchmal auslösen, ein Hinweis auf kindliche Reaktionsfähigkeit, den man als Gesundheitszeichen werten könnte. Es ist vorstellbar, dass Streck- und alternierende Beinbewegungen auch während der Geburt nützlich sind (11).

Drehbewegungen des Kopfes von einer Seite zur anderen werden im Schall ab der 10-11 Schwangerschaftswoche beobachtet. Sie werden für die Vorläufer des Rooting-Reflexes gehalten (12), der sowohl für den Geburtsvorgang als auch für die Stillzeit lebensnotwendig ist. Auch Frauen berichten öfters von „drehenden Kopfbewegungen“ im Beckeneingang und man könnte ihre Beobachtung als Hinweis auf eine regelrechte Entwicklung werten.

Positionsänderungen

Kinder können intrauterin ab dem ersten Auftreten von Bewegungen ihre Position wechseln. Diese Positionswechsel führen sie meistens in Form eines „Rückwärtspurzelbaums“ aus. Ab der Mitte der Schwangerschaft ziehen Kinder zunehmend die Schädellage vor. Man erklärt sich das unter anderem mit dem günstigeren Platzangebot (13).
Drehbewegungen um die eigene Längsachse werden ebenso von vielen Frauen gespürt: Sie beschreiben, dass sie die kindlichen Arme und Beine mal auf der einen, mal auf der anderen Seite wahrnehmen. Die Beschreibungen des Abnehmens dieser Drehbewegungen um die eigene Längsachse in den Tagen vor der Geburt erklärt sich vermutlich durch physiologische Vorbereitungsprozesse. Idealerweise kommt es in dieser Zeit durch hormonelle Umstellungen zu einer Aufweichung des unteren Uterin-Segmentes. Dadurch „senkt sich der Bauch“, der kindliche Kopf nimmt Kontakt zum Becken auf (14). Ein Verschwinden von Drehbewegungen zu diesem Schwangerschaftszeitpunkt kann (in Zusammenschau mit anderen Befunden) als prognostisch günstiges Zeichen für eine beginnende hormonelle Umstellung und eine gute Adaption im Beckeneingang gewertet werden.

Manche Bewegungsmuster, wie zum Beispiel Saugen oder der Rooting-Reflex ändern sich oder verschwinden im Laufe der ersten Lebensmonate. Andere Aktivitäten, wie Gähnen oder Schluckauf, bleiben ein Leben lang bestehen.

Schluckauf

Diese starke, ruckartige, rhythmische Kontraktion des Zwerchfells tritt meistens episodisch im Abstand von 2-3 Sekunden auf und dauert bis zu 10 Minuten. Mit zunehmender Schwangerschaftsdauer nimmt die Häufigkeit ab (15). Im letzten Trimenon wird er im Ultraschall nur mehr 1-2 mal in 24 Stunden beobachtet (1). Der Grund für diese Erscheinung ist unbekannt. Diskutiert wird ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Zwerchfellkontraktionen und einer damit angekurbelten Durchblutung der Plazenta. Die meisten Forscher*innen gehen aber davon aus, dass es sich dabei um eine Vorbereitung auf die eigenständige Atmung handelt (1), weshalb man Schluckauf als prognostisch günstiges Zeichen wertet.

Wann bewegen sich Ungeborene?

Neben der Art der Bewegungen beobachtet man auch das zeitliche Auftreten kindlicher Aktivitäts- und Ruhephasen. Verhaltenszustände, wie wir sie von Neugeborenen kennen (Tiefschlaf, REM-Schlaf, ruhiger / aktiver Wachzustand), sind schon in den letzten Wochen vor der Geburt vorhanden (1).
Im Stadium des Non-REM-Schlafs (Tiefschlaf) sind Kinder kaum weckbar und reagieren nur auf sehr starke Reize. Das Auftreten dieses Verhaltenszustand wird ab der 32. Schwangerschaftswoche beobachtet. Er dauert meist 20 Minuten, verlängert sich aber manchmal und kann am Ende der Schwangerschaft bis zu 60-75 Minuten fortbestehen. Man vermutet, dass ein gesundes Kind am Termin bis zu acht Stunden am Tag im Tiefschlaf verbringt (1). Das erklärt, warum Frauen manchmal im letzten Trimenon sagen, „ihr Kind reagiert nicht wie sonst auf sie“ – es lässt sich schwerer wecken, denn es hat Tiefschlaf gelernt.
Der „ruhige Wachzustand“ ist intrauterin selten und hält meist nur wenige Minuten an. Der aktive Wachzustand ist in seiner Dauer abhängig von Umgebungsfaktoren und dem Temperament des Kindes.

Interessanterweise wird in der Literatur diskutiert, ob es in der Schwangerschaft auch ein Äquivalent für den Verhaltenszustand „Schreien“ gibt. Es gibt im Schall Hinweise darauf, dass dem so ist, vermutlich in Form einer Abfolge von schnellen Ein- und Ausatembewegungen mit Betonung auf Ausatmung, bei der das Ungeborene den Kiefer öffnet und den Brustkorb einzieht. Beobachtet wurde das bei Weckversuchen, wenn dadurch ein unphysiologischer Wechsel von Schlafen zu „Schreien“ provoziert wurde (1).

Auch die Frauen bemerken in den letzten Wochen einen fließenden Übergang von aktiven zu ruhigen Phasen, gefolgt von Zeiten, in denen sie gar keine Bewegungen wahrnehmen. In der Saluto-Physiologie würde man das eine „Vertiefung kindlicher Rhythmen“ nennen und als Gesundheitszeichen sehen (8).

Night and Day

Zudem entwickelt sich ab der 20. bis 22 Schwangerschaftswoche langsam ein Tag-Nacht-Muster. Die innere Uhr wird mit regelmäßig wiederkehrenden Umgebungsfaktoren synchronisiert. Dazu gehören in erster Linie der Tag-Nacht-Wechsel mit seinem wichtigsten Taktgeber, dem Tageslicht. Aber auch andere Zeitgeber wie Lärm, soziale Kontakte oder regelmäßige Nahrungsaufnahme könnten eine Rolle spielen.

Die Steuerungsmechanismen des inneren Schrittmachers bewirken, dass in der Früh die Wachheit am geringsten ausgeprägt ist und in den Abendstunden am stärksten. Das abendliche Aktivitäts-Hoch könnte man also als Reifungsschritt des zirkadianen Systems verstehen, ein weiteres Gesundheitszeichen.

Was beeinflusst die Bewegungen Ungeborener?

Intrauterin sind Kinder von einer stetigen Geräuschkulisse umgeben. Diese rührt in erster Linie von akustischen Signalen her, die im Körperinneren entstehen (mütterlicher Herzschlag, Rauschen der Blutgefäße, Verdauungsaktivitäten…). Kinder nehmen aber auch Geräusche von außerhalb des Körpers wahr. Aufgrund von Gewöhnung reagieren Kinder üblicherweise nicht auf diese Hintergrundgeräusche, eine Beobachtung, die Schwangere oft amüsiert mitteilen („Auf den Geschwisterlärm reagiert es nicht mehr, das kennt es schon!“). Gewöhnung (Habituation) an auftretende Geräusche wird als Ausdruck eines Reifungsschrittes des fetalen Nervensystems gesehen (1).

Es ist immer interessant zu hören, wie Frauen das Temperament ihrer Kinder in verschiedenen Situationen erleben und beschreiben. Diese Sensibilität gilt als Hauptfaktor einer vorgeburtlichen Mutter-Kind-Bindung (17). Das Erfragen der Kindsbewegungen kann damit in der praktischen Hebammenarbeit einen guten Einblick in die Tiefe der bestehenden Bindung zwischen Frau und Kind geben.

Körperwissen hörbar machen

Wir können also die Wahrnehmungen der Frauen nutzen, um einen Eindruck von der Vitalität des Kindes zu gewinnen und den Verlauf hin in Richtung Geburt zu beobachten. Die Frage nach den Kindsbewegungen vergrößert unser Wissen über diese spezielle Frau und ihr Kind in ihrer Eigenart.
In einer Geburtskultur, in der die Frauen selten nach ihren eigenen Empfindungen gefragt werden, kann die Beschäftigung mit den Kindsbewegungen aber noch mehr: Sie macht sichtbar, was an weiblichem Körperwissen da ist, stärkt es und bringt es zum Wachsen. Das ist wichtig, denn Geburt geht durch den Körper. Er ist der Nährboden, aus dem alles Weitere entsteht.


Quellen:

(1) Einspieler C, Prayer D, Prechtl H (2012). Fetal Behaviour: A Neurodevelopmental Approach. London: Mac Keith Press
(2) de Vries JI, Fong BF (2006). Normal fetal motility: an overview. Ultrasound Obstet Gynecol 27:701-11
(3) Groome L, Swiber M, Holland S (1999). Spontaneous motor activity in the perinatal infant before and after birth: Stability in individual differences. Dev Psychobiol 35:15-24
(4) Reduced Fetal Movements. Green-top Guideline Nr. 57. RCOG. Zugriff am 5.5.2025: https://www.rcog.org.uk/media/2gxndsd3/gtg_57.pdf
(5) Rößlin E (1528). Der Schwanngeren, Frawen vnd Hebammen Rosengarten. Augsburg: Steyner
(6) Freda MC, Mikhail MS, Mazloom E (1993). Fetal movement counting: which method? Am J Maternal Child Nurs 18(6):314-21
(7) Funke M/ Teuerle M (2005). Routineuntersuchungen. In: Bund deutscher Hebammen (2005). Schwangerenvorsorge durch Hebammen. Stuttgart: Hippokrates Verlag, 100
(8) Schmid V (2011). Schwangerschaft, Geburt und Mutterwerden. Ein salutogenetisches Betreuungsmodell. Hannover: Elwin Staude Verlag
(9) Prechtl HFR (1997). State of the art of a new functional assessment of the young nervous system. An early predictor of cerebral palsy. Early Hum Dev 50:1-11
(10) Prechtl HFR (2001). General movement assessment as a method of developmental neurology: new paradigms and their consequences. Dev Med Child Neurol 43:838-842
(11) Enning C (2003). Wassergeburtshilfe. Stuttgart: Hippokrates Verlag
(12) Prechtl HFR (1989). Fetal behavior. In: Hill A, Volpe JJ, editors. Fetal neurology. New York: Raven Press,1-16
(13) Rockenschaub A (2001). Gebären ohne Aberglauben. Fibel und Plädoyer für die Hebammenkunst, 2. Aufl. Wien: Facultas-Univ.-Verlag
(14) Stöckel W (1941). Lehrbuch der Geburtshilfe, 6. Auflage. Jena: Verlag von Gustav Fischer
(15) Roodenburg PJ, Wladimiroff JW, van Es (1991). Classification and quantitative aspects of fetal movements during the second half of pregnancy. Early Hum Dev 25:19-25
(16) Rivkees SA (2003). Developing circadian rhythmicity in infants. Pediatrics 112(2):373-381
(17) Shin H, Park Y-J, Kim MJ (2006). Predictors of maternal sensitivity during the early postpartum period. J Adv Nurs 55(4):425-434


Die ungekürzte Fassung dieses Artikels ist ursprünglich erschienen in: Österreichische Hebammenzeitung 02/2025, S. 20-24

Wir danken für die Abdruckgenehmigung!

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