Logo Hebammenzentrum

informiert begleitet unterstutzt blau

Texte rund um die Hebammenarbeit | Geburtsschmerz

Verena Schmid

Hebamme, Direktorin der Scuola Elementale di Arte Ostetrica, Florenz

Schmerz ist zentraler Aspekt, einschneidend und gefürchtet bei der physiologischen Geburt. Nach Werten und Interpretation unserer Wohlstandsgesellschaft ist er überflüssig und sinnlos. Zusammen mit der Überflüssigkeit des Geburtsschmerzes ist das Gebären selbst überflüssig geworden, der Kaiserschnitt nimmt überhand (in Italien 32%, in Süditalien 54%), er erscheint als eine saubere, schmerzlose, mühelose Geburt. Von dieser sozialen Einstellung wird die Information durch die Massenmedien gefärbt und die Frauen werden weiterhin getäuscht und belogen. Eine schwangere Frau heute muss den Schmerz wählen, wenn sie eine physiologische Geburt haben will und das ist natürlich sehr schwierig, sich dafür bewusst zu entscheiden und ihn aktiv anzunehmen. Häufig ist die Haltung der Frauen zurückhaltend oder in Verteidigung. Die innere Haltung der Frau wirkt sich aber auf den Körper und auf das ganze Geburtsgeschehen aus. Eine angstvolle, zurückhaltende Haltung bewirkt Isolierung, Unverständnis, keine Motivierung, Spannung, Verkrampfung, Starre, Bewegungslosigkeit, Zurückschalten, hohe Niveaus von Katekolaminen, Distress (hemmender Stress) und führt schließlich zur Dystokie.

Eine motivierte, akzeptierende Haltung bewirkt hingegen Unterstützung, Verständnis, Motivierung, Entspannung, Rhythmus, Ausdruck, anregenden Stress und fördert die Eutokie.
Eine spezifische Funktion in der physiologischen Schmerzbearbeitung regelt den Körper auf Grund der affektiven Motivierung: die affektive-motivierende Dimension des Geburtsschmerzes. Sie hängt vom limbischen und vom retikulären System ab, ist mit allen anderen Systemen des Gehirns verbunden, erregt die sensorischen, motorischen, neurovegetativen und extrapyramidalen Bahnen an und reagiert mit Spannung oder Entspannung je nach Gefühls-Reaktion auf den Schmerz (Akzeptanz, Lust, Angst, Verweigerung). Sie kann somit den Schmerz erhöhen oder vermindern.

Diese physiologische Dimension kann positiv beeinflusst werden durch ein hilfreiches, motivierendes Umfeld, liebevolle Unterstützung und Begleitung und vor allem durch eine gute Information über den Sinn des Geburtsschmerzes, die motiviert.
Denn der Schmerz in der Geburt hat nicht nur einen Sinn, sondern unterstützt den Geburtsvorgang, schützt Frau und Kind vor Schaden und führt sie sicher durch die Geburt.

Wir können grundsätzlich vier verschiedene Ebenen benennen, auf welchen die Geburtsschmerz eine Funktion ausübt: die körperliche Ebene, die psychische Ebene, die energetische Ebene und die affektive Ebene oder Beziehungsebene. 

 

Die körperlichen Funktionen des Geburtsschmerzes

Der Schmerz als Stimulator der Hormone

Das für den Geburtsbeginn nötige Oxytocin wird Ende Schwangerschaft aufgrund von hormonellen Veränderungen in der Plazenta und im kindlichen Organismus direkt vom Kind produziert. Auch die Stimulation des Gebärmutterhalses durch seine aktiven Bewegungen trägt dazu bei. Das lokale Oxytocinsystem in der Gebärmutter wird ausgebildet. Die noch unregelmäßigen und wieder aufhörenden Kontraktionen des Prodromal-Stadiums sind die Antwort darauf. Um zum aktiven Teil der Geburtsarbeit mit seinen regelmäßigen und effektiven Kontraktionen zu gelangen, braucht es einen regelmäßigen Stimulus, um eine konstante und steigende Produktion von Oxytocin zu erreichen. Dieser Stimulus wird durch den intermittierenden Wehenschmerz gegeben. Der Schmerz bringt die Frau momentan in eine Situation akuten Stresses, auf die sie mit einer Spitzen-Ausschüttung von Katecholaminen reagiert. Diese provozieren, sofern sie in Peaks ausgeschüttet werden, als paradoxe Antwort eine Oxytocin-Ausschüttung und gleichzeitig die Produktion von Endorphinen. Sie lösen somit gleichzeitig einen Anstieg der Kontraktionstätigkeit und eine steigende Schmerztoleranz aus.
Wir wissen, dass die Katecholamine dagegen bei kontinuierlicher Ausschüttung die Produktion von Oxytocin hemmen und so die Geburt bremsen oder das Prodromal-Stadium verlängern, ohne in die aktive Geburtsarbeit überzuleiten. Bei vielen Geburtsstillständen bei 3cm Muttermundsöffnung können wir eine erhöhte Dauerspannung der Mutter beobachten, begleitet von den Symptomen einer exzessiven sympathikotonen Stimulation (fehlende Entspannung).

Die Wehenpausen sind also unbedingt nötig für das endokrine Gleichgewicht.

In der Pause wird der Parasympathikus wieder stark aktiv, er erhöht die Endorphine, welche die Wehe hemmen. Der Stoß des Kindes und das lokale Oxytocinsystem geben wiederum den Input für eine Wehe mit Akutstress, der wiederum in eine Pause übergeht.
Das Geheimnis der Toleranz des Geburtsschmerzes ist also die Pause zwischen den Wehen. Übertragen auf die Hebammenkunst bedeutet das, dass wir den Akzent auf die Pausen zwischen den Wehen legen müssen, weil die totale Entspannung zwischen zwei Wehen gestattet, dass die Gebärende sich in einer Situation tiefer Ruhe ohne Stress befindet und ihren den Körper auf die Möglichkeit eines neuerlichen Katecholamin-Ausstoß in der folgenden Wehe vorbereitet und somit auf einen erneuten Stimulus der Oxytocin-Produktion.
Die harmonische Zusammenarbeit der beiden neurovegetativen Systeme ist während der Geburt besonders deshalb wichtig, weil das sympathische System verantwortlich ist für das Zusammenziehen der Gebärmutter (Kraft) und der Parasympathikus für die Entspannung des unteren Uterinsegmentes und den Gebärmutterhals (Öffnung, Hingabe) und für peristaltische austreibende Kontraktionen der Gebärmutter. Wenn die beiden Systeme nicht im Einklang arbeiten, sehen wir uns konfrontiert mit spastischen Kontraktionen ohne Muttermundseröffnung, Dystokien zwischen Gebärmutterkörper und -hals oder auch mit hypertoner Wehentätigkeit und unproduktivem Schmerz.

Die Hebamme kann einiges tun, um diesen Wechsel zu erleichtern und zu begünstigen, indem sie die Frau mit ihrer Unterstützung durch den Schmerz begleitet und ihr Handwerkszeug anbietet, um mit dem Schmerz umgehen zu können. Wie schon Dick-Read 1930 erkannte „ist der Schmerz nichts, mit dem die Frau nicht fertig werden könnte".

Ein anderer wichtiger Aspekt des Schmerzes als Hormon-Stimulator betrifft die Produktion der Endorphine. Endorphine werden von drei Faktoren gleichzeitig angeregt: sie begleiten immer die Katekolamine, werden also mit dem ACTH-Peak stark ausgeschüttet, sie werden vom Oxytocin und vom Parasympathikus angeregt. Sowohl Wehe als Pause sorgen deshalb für die Schmerztoleranz. Je mehr die Geburt fortschreitet, desto stärker wird die Toleranz. Im Fruchtwasser sind Endorphine stark konzentriert. Der Schmerz der Mutter beschützt deshalb das Kind von Geburtstrauma und Schmerz.
Die Funktion der Endorphine ist aber nicht ausschließlich das Vermindern der Schmerz-Wahrnehmung. In der fortgeschrittenen Eröffnungsphase bewirken sie eine Bewusstseinserweiterung oder einen tranceähnlichen Zustand, der für die Hemmung des Neokortex (Rationalität) nötig ist, sowie für die Dominanz derjenigen neurovegetativen Funktionen, die die Geburt steuern. Die Endorphine haben auch eine Aufgabe im Metabolismus, in der Nervenübertragung, im Immunsystem und nehmen Einfluss auf die Hirnwellen. Das Prolaktin, vom Oxytocin angeregt, unterstützt sie dabei. Möglicherweise hat das Prolaktin auch eine wichtige Rolle in der Unterstützung und im Schutz des kindlichen Metabolismus während der Geburt.

Oxytocin = Liebe
Prostaglandine = Kraft, Richtung
Endorphine = Bindung
ACTH = Kraft, Energie
Prolaktin = Schutz
In der Nabelschnur befinden sich hohe Konzentrationen von POMC, Oxytocin, Vasopressin, im Fruchtwasser von Endorphinen.

 

Der Schmerz als Führer durch die Geburt, als Beschützer von Mutter und Kind

Diie physiologische Funktion des Schmerzes ist es, den Körper vor Schäden zu bewahren, indem er im Falle eines Angriffes ein Alarmsignal entsendet, damit der Angegriffene handeln kann, um sich dem Angriff zu entziehen. Schmerz macht folglich aktiv!
Da die Geburt ein physiologischer Vorgang ist, scheint der Schmerz paradox. So ist es wahr, dass die Psychoprophylaxe in ihren Anfängen den Geburtsschmerz als negative Konditionierung der Frauen bezeichnet hat - eine ihrer falschen Vorstellungen.

Tatsächlich stellt die Geburt aus physiologischer Sicht ein Paradoxon dar: damit die Frau einem anderen Menschen das Leben schenken kann, muss sie gegen ihren eigenen Körper gehen, muss einen Angriff des Kindes auf ihre Eingeweide erleiden, der dem Selbsterhaltungstrieb entgegen steht. Ein Angriff auf seine Integrität setzt den Körper in Alarm, er weist mit Hilfe des Schmerzes auf die Gefahr hin und produziert physiologischerweise Verteidigungsreaktionen (Angriff oder Flucht).
Die Geburt verkörpert in gewissem Sinn einen Kampf zwischen Selbsterhaltung und Hingabe. Der Prozess der Öffnung der Eingeweide, der starke Druck auf die Gelenke und Nerven im Kreuzbeinbereich ist ja tatsächlich nicht gefahrlos für Mutter und Kind; somit ist der Schmerz ein wertvoller Führer, in dem er auf die Gefahren hinweist und der Frau die Möglichkeit gibt, durch Bewegung situationsentsprechend zu reagieren. Die passende Bewegung während der Geburt ist der „Angriff", das Entgegengehen, sich öffnen lassen, das Kind gehen lassen. Bei Fluchtverhalten verschließt sich die Frau, zieht sich zurück, hält das Kind in sich, ein Geburtsfortschritt wird unmöglich.
Die physiologische Antwort auf den Schmerz ist instinktive Bewegung, Ausdruck. Die Bewegungsfreiheit erlaubt der Frau, instinktiv die Haltungen einzunehmen, die den Schmerz lindern, den Widerstand und Druck vermindern. Dadurch schützt die Frau sich selbst vor Schäden am Becken, am Gebärmutterhals und am Beckenboden, sowie das Kind vor Einstellungsanomalien und zu starkem Druck auf seinen Kopf, was den Geburtsstress verringert.

Während der Austreibungsphase zeigt der brennende Schmerz in der Scheide an, wie weit sie angespannt werden kann und wo die Grenze liegt. Das sorgfältige Atmen und Schieben erlaubt der Frau, ihren Beckenboden von Schäden zu bewahren. Der „Feuerring" der Krönung bewirkt den Fetus ejecton reflex, der meistens vor Rissen schützt. Der Schmerz orientiert die Frau auch, sie kann fühlen, wo das Kind ist und wie sich die Geburt nähert. 

 

Die psychischen Funktionen des Geburtsschmerzes

Der Schmerz als Ausdruck der Trennung

Eines der stärksten Gefühle während der Geburt ist die Notwendigkeit, sich vom Kind zu trennen. Von einem Kind, das gleichzeitig ein eigenständiger Mensch und ein Bestandteil der Frau selbst, ihres tiefsten Teils ist.
Erträumtes Kind, phantastisches Kind, reales Kind.

Das Loslassen eines Teiles von sich selbst oder von jemandem, der uns sehr nahe steht, ist immer schmerzhaft, schwierig und oft ungewollt. Im Fall der Geburt ist die Trennung gleichzeitig ersehnt und gefürchtet, belastet auch vom Aspekt des Unbekannten des realen Kindes.
Der Schmerz hat die doppelte Funktion, die Frau ohne Verzögerung in Richtung Trennung zu bewegen, in eine Richtung, in die sie sich vielleicht freiwillig nie bewegt hätte. Er macht ihr klar, dass die Geburt unvermeidlich und notwendig ist. Aufgrund der Lokalisation des Schmerzes im Bauch wird die gesamte Aufmerksamkeit der Frau auf diesen Prozess konzentriert, ohne Ausweg. Die Aufgabe muss vollbracht werden.

Gleichzeitig ist der Schmerz selbst Ausdruck und „Ausbruch" des durch die Trennung verursachten emotionalen Leides. Der Schmerz bestimmt die Zeit und die Zeit ist bei Trennungsprozessen wichtig und individuell unterschiedlich. Der Trance-Zustand durch die Endorphine erleichtert der Frau durch die völlige Aufgabe des eigenen ICHs und ihrer eigenen Grenzen, die sie zur vollständigen Öffnung und Hingabe von sich selbst bringen, die Trennung von ihrem Kind und erlaubt ihr, es mit Freuden anzunehmen.

Auch in diesem Zusammenhang kann die Hebamme als Unterstützerin eine wichtige Rolle übernehmen. Der Trennungsprozess kann erleichtert werden, wenn in der Schwangerschaft eine gute Bindung zwischen Mutter und Kind gefördert wird. Durch innere Zwiesprache von Mutter und Kind wird das Kind zum Individuum, wird der Mutter vertrauter, weniger fremd und nicht nur in ihrer Vorstellung existent. Je mehr Mutter und Kind miteinander kommunizieren, desto leichter fällt die Trennung; die Geburt verläuft dadurch schneller und weniger schmerzhaft. 

 

Der Schmerz als Element des persönlichen Umwandlungsprozesses

Sich dem Schmerz zu stellen macht Angst und Beklemmung, ihm über viele Stunden lang ausgesetzt zu sein, stellt die persönliche Stärke auf die Probe. Der Schmerz löst also eine regelrechte existenzielle Krise aus, er mobilisiert alle emotionalen Fähigkeiten der Frau, entfacht alte Schmerzherde der persönlichen Lebensgeschichte, die im Unterbewusstsein (Thalamus und limbisches System) gespeichert waren. Er bietet allerdings damit die einmalige Möglichkeit, alte Schmerzen abzuladen.

Der Geburtsschmerz bringt die Frau an ihre äußersten Grenzen, bis sie das Gefühl hat, alle ihre Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben, am Ende ihrer Kräfte zu sein. Dieser Augenblick entspricht der Kapitulation („ich kann nicht mehr!"), bedeutet komplette Hingabe und ermöglicht es ihr, im Fluss zu sein mit den starken Energien ihres arbeitenden Körpers. Die Hingabe ist gleichbedeutend mit dem Überschreiten der eigenen Grenzen, sie bringt den Geburtsfortschritt, regt neue, bisher unbekannte Ressourcen an und steigert damit die persönliche Kraft der Frau.

So wird sie Mutter und verändert ihre soziale und persönliche Stellung. Dieses Wachsen der eigenen Stärke aufgrund einer Grenzerfahrung (z.B. auch bei schwierigen Geburtsverläufen) steht für die Reife, die nötig ist, um die Elternrolle einnehmen und ein Kind halten zu können.
Heute, wo die Frauen nicht mehr gebären, steigt die Anzahl an Frauen, die an Spitzensportarten teilnehmen. 

 

Die energetischen Funktionen des Geburtsschmerzes 

Der Schmerz als Simulator der sexuellen Energie

Nach Wilhelm Reich ist die Fähigkeit zum Orgasmus die Fähigkeit, sich ohne Hemmungen dem Fluss der biologischen Energie hinzugeben und die angestaute sexuelle Spannung durch unwillkürliche rhythmische Kontraktionen zu entladen.
Die große Kraft der Geburt, wenig bekannt, wenig verstanden, aber sehr gefürchtet, besteht genau in der Tatsache, dass das Gebären für die Frau ein starker Ausdruck ihrer spezifisch weiblichen und vom Mann unabhängigen Sexualität ist. Eine Frau, die mit ihrer sexuellen Kraft gebärt, wird nach der Geburt eine stärkere Frau sein. Stärker in jeder Hinsicht, aber insbesondere wird ihre Orgasmusfähigkeit im Sinne von Reich gesteigert sein.
Der Vermittler dieser orgastischen Erfahrung während der Geburt ist wiederum der intermittierende Schmerz. Durch seine ständig wachsende Reize erhöht sich die Spannung im Körper der Frau, besonders im Genitalbereich. Durch die Endorphine erhöht sich die Fähigkeit der Frau, „sich im Fluss der biologischen Energien gehen zu lassen", durch die Hingabe in den Wehenpausen wird die Entspannung vertieft.

Wenn die Spannung durch den Schmerz ein bestimmtes Niveau erreicht hat, bereitet sich die Frau auf die Entladung vor, indem unwillkürliche Kontraktionen beginnen: zuerst im ganzen Körper (Zittern), dann an der Beckenboden-Muskulatur (unwillkürlicher Pressdrang). Der Druck des kindlichen Kopfes in der Scheide ist der ausschlaggebende Reiz für den Beginn der Entladung der angestauten Energie in Form von unwillkürlicher Kontraktionen der Beckenbodenmuskulatur und langen Ausatmungen bis zur Geburt des Kindes.
Das Gefühl des Orgasmus ist vom Zurückfließen der ganzen, in den Geschlechtsorganen konzentrierten Energie in den Körper gegeben und wird als Genugtuung und Wohlbefinden empfunden, das übergeht in Gefühle von Zärtlichkeit und Dankbarkeit dem Kind gegenüber, die sich in den unmittelbaren Stunden nach der Geburt ausdrücken. Eine Frau, die mit ihrer sexuellen Energie ihr Kind bekommt, entlädt sich bei der Geburt des Kindes und gewinnt ihre gesamte Energie danach wieder zurück. Sie kennt keinen Schüttelfrost nach der Geburt, sie fühlt sich befriedigt und voller Zärtlichkeit. Sollte das Kind von ihr getrennt werden, wird sie ihres Orgasmus' beraubt. 

 

Die affektive Funktion des Geburtsschmerzes 

In dem Moment, in dem das Kind geboren und der Schmerzreiz zu Ende ist, finden sich sehr große Mengen von Endorphinen und Oxytocin im mütterlichen Organismus, höhere Mengen denn je im ganzen Leben.
Die Frau, wenn sie nicht gestört wird und ihr Kind bei sich im Arm hat, erlebt ein einmaliges Gefühl von Ekstase und Euphorie, mit welchem sie ihrem Kind entgegentritt und ihre Erfahrung als Mutter und die Beziehung mit ihrem Kind beginnt. Das Imprinting ist von Lust geprägt. Den Endorphinen wird auch die Eigenschaft der Abhängigkeit und Bindung zugeschrieben, dem Oxytocin die der Liebe. Eine natürliche Geburt sorgt für die Lust auf Wiederholung.

Bindung ist die elementare Erfahrung, mit der ein Baby wächst und gedeiht, Liebe seine wichtigste Nahrung. Eine natürliche Geburt bereitet also den natürlichen Boden für das Kind, gewissermaßen seinen Humus.
Auch der Partner, der bei der Geburt dabei ist, wird hormonell angeregt. Er produziert erhöhte Menden von Oxytocin und Prolaktin, häufig auch ACTH, nur leider ohne Wellenrhytmus. In der sensitiven Phase gleich nach der Geburt, wenn er in Augenkontakt mit seiner Frau ist, kann sich das Paar wieder verlieben und die Bindung zwischen sich und dem neuen Kind stärken.

Ohne Schmerz keine Hormone

Michel Odent weist in seinem Buch „The scientification of love" darauf hin, was es für die Menschheit bedeuten könnte, ohne das Imprinting der Liebes- und Bindungshomone zur Welt zu kommen, und er sagt aus, dass die Entdeckung des Liebesimprintings für die Menschheit so wichtig sei wie die Entdeckung des Feuers für unsere atavistischen Vorgänger.

All dies ist jedoch nur möglich, wenn die Gebärende nicht gestört wird, wenn die Umgebung intim und beschützt ist, wenn die Hebamme eine gute Unterstützung anbietet für die ganze Geburt, die zwei Stunden nach der Austreibung des Kindes endet. Dann wird der Schmerz von einem unerwünschten zu einem fundamentalen Bestandteil einer natürlichen Geburt, ein Element, das die Frau aktiv und stärker macht, den Grundstein legt für die Mutter-Kind-Beziehung und gesundheitsfördernd ist.
Die Hebamme sorgt dafür, dass der Geburtsschmerz auf sein physiologisches Minimum gebracht wird und dass kein unproduktiver und unnötiger Schmerz dazukommt.

IL DOLORE DEL PARTO: una nuova interpretazione della fisiologia e della funzione del dolore per la donna moderna, metodi di analgesia naturali, Centro Studi Il Marsupio ed. 1998 (seao@catpress.com)

Besuchen Sie zu diesem Thema auch den Vortrag „Geburtsschmerz: Sinnhaftigkeit - Bewältigung“

Mit der Nutzung unserer Webseite erklären Sie sich damit einverstanden Cookies zu erlauben.